Schmerz lass nach!
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Gelegentlich erwischt es auch den Experten – nicht mit einer Dekompressionskrankheit, sondern mit einer schmerzhaften Erkrankung. Ein Bandscheibenvorfall zwang mich kürzlich in die Knie und liess mich ein Loblied auf Schmerzmittel anstimmen. Diese gehören zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten. Ihr Einsatz wirft auch für uns Taucher etliche Fragen auf.
Text: Dr. med. Beat Staub –
Facharzt für Allgemeinmedizin FMH, Diving Medicine Physician EDTC
Es geschah ganz plötzlich: eine zwar alltägliche, aber vielleicht etwas unbedachte Bewegung löste heftigsten Schmerz im Rücken und in einem Bein aus. Der Schmerz war derart stark, dass ich buchstäblich zu Boden ging. Auf die Zähne beissen und durch den Schmerz atmen löste das Problem jedoch nicht. Ruhig liegen konnte ich auf dem Boden auch nicht auf Dauer. Nur schon der Gang zur Toilette wurde zur Plage und musste sorgfältig geplant sein. So konnte es nicht weitergehen – ein Schmerzmittel musste her. Zuerst Paracetamol, dann kommt ein Rheumamittel dazu (ein sogenanntes NSAR), dann folgt ein stärkeres Schmerzmittel und, weil trotz all der Chemie der Schmerz weiter bohrt, schliesslich kam ein Opiat dazu.
Jetzt, wo es mir wieder gut geht und ich keine Schmerzmittel mehr benötige, möchte ich der Frage nachgehen, wie es eigentlich um die Tauchtauglichkeit steht, wenn man diese Präparate einnehmen muss.
Vor einiger Zeit durfte ich eine tauchmedizinische Weiterbildung besuchen, die auf einem Safariboot stattfand. Insgesamt waren beinahe 30 Ärztinnen und Ärzte auf Bildungstour (zugegeben, wir tauchten daneben auch viel) und eines der Themen waren Medikamente. Der Referent startete mit der Frage, wer denn nun alles aktuell gerade ein oder mehrere Medikamente einnehme. Wenig überraschend meldeten sich mehr als die Hälfte der Teilnehmenden. Schmerzmittel, Nasentropfen, Medikamente gegen Seekrankheit und Herz-Kreislauf-Mittel wurden am meisten genannt. Diese nicht-repräsentative Erhebung deckt sich gut mit den Ergebnissen einer Umfrage bei mehreren hundert Sporttauchern und -taucherinnen aus England: 57% der Befragten gaben an, weniger als 6 Stunden vor einem Tauchgang ein rezeptfreies Medikament zu sich genommen zu haben. Und bei beinahe zwei Drittel der Taucher, die eine Einnahme angaben, waren Schmerzmittel zum Einsatz gekommen. Wussten diese Taucher und Taucherinnen, ob diese Präparate unter Wasser sicher sind?
Nun könnte man ja die Hoffnung (oder die Phantasie) haben, dass zumindest die rezeptpflichtigen Medikamente von Fachpersonen verordnet wurden, die wussten, dass die Patienten in ihrer Freizeit tauchten und die auch wussten, wie es um die Eigenschaften der Präparate unter Wasser stand.
Zum einen bilde ich mir selber nicht ein, von allen meinen Patienten und Patienten zu wissen, ob sie tauchen – es sei denn, dass ich ihre Tauchtauglichkeit selber zu beurteilen habe. Zum anderen: es ist mir kein Medikament bekannt, von dem in der Präparatebeschreibung (dem berühmt-berüchtigen Beipackzettel) stehen würde, ob es unter Wasser irgend etwas Unerwünschtes auslösen würde. Die Datenlage ist diesbezüglich genauso dürftig wie für die Situation in der Höhe oder bei spezieller Kälte oder Wärme. Diese Aspekte werden bei Medikamenten nicht getestet. Es wäre viel zu aufwändig und solche Daten werden von den Heilmittelbehörden nicht verlangt. In der Fachliteratur gibt es also kaum Angaben zur Tauchtauglichkeit von Medikamenten.
Man kann ja auch nicht jedes Medikament einer Gruppe von Tauchern verabreichen und dann mal schauen, was da so passiert. Beim Einsatz von Medikamenten in der Schwangerschaft ist es ähnlich: man weiss es nicht und rät darum bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich davon ab.
Man weiss es also nicht – das bedeutet, dass jede Medikamenteneinnahme vor einem Tauchgang eigentlich ein Experiment ist.
Trotz allem Nicht- und Unwissen: der gesunde Menschen- und Taucherverstand hilft weiter. Eigentlich ist es gar nicht so schwierig, wenn man als erstes davon Abstand nimmt, dass sich Medikamente unter Wasser bzw. unter Druck anders verhalten würden als sonst. Druck verändert nicht die Medikamente, sondern die Körperfunktionen. Für die medizinisch gebildete Leserschaft sei die Ausnahme von der Regel verraten: Narkosegase verhalten sich anders. Aber ein Tauchgang unter Narkosebegleitung dürfte wohl nicht zur Diskussion stehen . . .
Man kann sich der Gefährlichkeit oder der Sicherheit jeder Medikamenteneinnahme beim Tauchen mit einigen einfachen Fragen nähern.
Die wichtigsten Fragen zuerst: Was ist der Grund für die Medikamenteneinnahme? Handelt es sich um eine akute oder eine langdauernde Störung der Gesundheit? So findet man meist relativ rasch heraus, ob ein Tauchgang wirklich sinnvoll und nötig ist. In meinem
eigenem Fall hatte ich mich also grundsätzlich fragen müssen, ob ich mit meinem lädierten Rücken in der Lage gewesen wäre, die Tauchausrüstung über einen unbequemen Einstieg auf meinem Rücken ins Wasser und nach dem Tauchgang auf wieder ans Trockene zu bringen. Und ich hätte mir die Frage gefallen lassen müssen, was wohl geschehen wäre, wenn ich bei einer vielleicht etwas ungeschickten Flossenbewegung unter Wasser plötzlich wieder starke Beschwerden erlitten hätte. Hätte die schwere Tauchausrüstung vielleicht sogar zur einer Verschlimmerung meiner Schmerzen geführt?
Ob mit oder ohne Schmerzmittel: nur schon mit diesen Überlegungen ist klar, dass ein Tauchgang unter diesen Umständen nicht sinnvoll gewesen wäre.
Weiter ist grundsätzlich zu überlegen, was geschehen könnte, wenn das eingenommene Medikament unter Wasser – aus welchen Gründen auch immer – seine Wirksamkeit verlieren würde. Daran ist ja zum Beispiel zu denken, wenn man Tropfen oder Spray gegen die verstopfte Nase während einer Grippe einsetzt. Vielleicht kommt es gegen Ende eines längeren Tauchgangs dann wieder zur Blockade der Nase und – viel schlimmer – zur Blockade der Tubengänge zur Belüftung des Mittelohrs. Der Aufstieg wird dann mühsam, schmerzhaft und langsam.
Man muss sich auch Gedanken darüber machen, dass Tauchgänge nicht immer nur easy und locker sind. Kaltes Wasser, Strömung oder sonstiger Stress kann dazu führen, dass zum Beispiel die Wirkung von gewissen Kreislaufmedikamenten (z.B. gegen hohen Blutdruck) nicht mehr ausreichend ist und es zu körperlichen Schädigungen und Problemen kommen kann.
Selber hätte ich mir also vorstellen müssen, was bei einem Schmerzproblem (trotz Schmerzmitteleinnahme) unter Wasser mit mir hätte geschehen können. Nein, das wollte ich nicht erleben und habe somit aufs Tauchen verzichtet.
Einen Hinweis fürs Tauchen findet man auf den Beipackzetteln beim sorgfältigen Lesen doch. Bei gewissen Medikamenten wird erwähnt, ob man beim Bedienen von Maschinen oder beim Führen eines Fahrzeugs nun vorsichtig sein müsse. Das ist ein Fingerzeig,
dass dieses Medikament offenbar gewisse Hirnfunktionen beeinträchtigt. Als Taucher und Taucherinnen wissen wir, dass der erhöhte Partialdruck des Stickstoffs unsere Hirnfunktion ohnehin schon beeinflusst. Somit ist beim Einsatz solcher Medikamente aufs Tauchen zu verzichten.
Dasselbe gilt für Medikamente, deren Nebenwirkungen uns bereits bekannt sind. Dabei ist besonders die Müdigkeit zu erwähnen, die bei vielen Präparaten auftritt. Wenn uns ein Medikament bereits an Land müde macht, so wird es unter der Wasseroberfläche ja wohl nicht besser sein. Es ist sogar zu erwarten, dass die Müdigkeit beim Tauchen eher sogar noch zunimmt. Sind wir unter diesen Umständen noch denk- und handlungsfähig beim Tauchen? Auch in unvorhergesehenen oder schwierigen Situationen?
Nun wissen wir eigentlich schon ganz ordentlich Bescheid und können uns den Schmerzmitteln zuwenden.
Diese werden zur Behandlung bzw. Bekämpfung von akuten oder langdauernden Schmerzen eingesetzt. Einige Vertreter sind zusätzlich fiebersenkend oder entzündungshemmend. Zu den wichtigsten Wirkstoffen gehören hauptsächlich Paracetamol, die sogenannten «nicht-steroidalen Entzündungshemmer» (NSAR) und die Opioide. Schmerzmittel sollen aufgrund ihrer möglichen unerwünschten Wirkungen nicht unkritisch konsumiert werden. Einige Vertreter können als Rauschmittel missbraucht werden und abhängig machen. Es gibt verschiedene Darreichungsformen. Für unsere Gedanken zum Tauchen spielt es aber keine wesentliche Rolle, ob ein Präparat als Tablette, als Zäpfchen, in Tropfenform, als Pflaster oder als Injektion angewendet werden.
Paracetamol ist wohl das am häufigsten eingesetzte Schmerzmittel. Es lindert Schmerzen und senkt Fieber. Fürs Tauchen wäre es pharmakologisch wohl unbedenklich. Jedoch muss man sich ja schon ernstlich Fragen, ob ein Tauchgang während einer Grippeerkrankung (Paracetamol ist in vielen Grippemitteln enthalten) oder eines anderen fieberhaften Zustand wirklich unumgänglich sei.
Die nächste Gruppe der Schmerzmittel ist die der sogenannten «nicht-steroidalen Entzündungshemmer». Der mühsame Name kommt daher, dass sie historisch von den steroidalen Entzündungshemmern, den Kortisonen, unterschieden werden sollten.
Diese Gruppe enthält zahlreiche Medikamente, die nicht nur schmerzlindernd und fiebersenkend, sondern auch entzündungshemmend sind. Diese Gruppe ist sehr vielfältig. Ihnen allen gemeinsam sind die Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt. Das ist fürs Tauchen deshalb von Bedeutung, weil bei einer guten, nahezu horizontalen Lage beim Tauchen die vermehrt produzierte Magensäure ihren Weg durch die Speiseröhre zum Mund nimmt. Saures Aufstossen und Hustenreiz sind die Folgen. Beides vermiest den Tauchgang ordentlich. Daneben beschreiben viele Leute eine unter der Behandlung auftretende Müdigkeit. Das ist wiederum, wie wir bereits wissen, ein Grund mit dem Tauchen zurückhaltend zu sein oder darauf zu verzichten. Weiter kann es bei einigen dieser Präparate (darunter das altbekannte Aspirin) zu Verengungen der Luftwege kommen, was zu
Asthma führen kann. Ganz schlecht beim Tauchen!
Übrigens: wenn diese Medikamente eingesetzt werden, so soll ja eine Entzündung bekämpft werden. Entzündetes Gewebe hat aber möglicherweise ganz andere stickstoffspeichernde Eigenschaften als gesundes Gewebe! Man weiss nicht, ob zum Beispiel entzündete Gelenke vermehrt Stickstoff einlagern. Dies könnte zu einem erhöhten Risiko einer Dekokrankheit führen.
Die Vertreter der nächsten Gruppe, der sogenannten Opiate und Opioide (opiatähnliche Medikamente) gehörten zu den starken und stärksten Schmerzmitteln. Diese Medikamente, deren bekannteste Vertreter das Morphium oder das in den USA häufig eingesetzte Fentanyl sind, haben eine gute Wirkung gegen Schmerzen. Aber es ist immer mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Wirkung aufs Gehirn zu rechnen. Müdigkeit, Schläfrigkeit, verlangsamtes Denken sind nebst dem Abhängigkeitsrisiko die wichtigsten Nebenwirkungen. Verhält sich ein Taucher unter einer Opiatbehandlung unter Wasser eigenartig, so kann das mit einem Tiefenrausch verwechselt werden. Zudem: wird dieser Taucher in einem Notfall seinem Buddy helfen können? Es braucht keine weiteren Erklärungen: unter einer Behandlung mit diesen Medikamenten ist das Tauchen schlichtweg gefährlich.
Obschon man zwar wenig über das Risiko von Medikamenten beim Tauchen weiss, kann der gesunde Menschenverstand weiterhelfen: Meist ist es nicht das Medikament selber, das in Frage gestellt werden muss. Vielmehr geht es um den Zustand oder die Krankheit, die den Einsatz eines Medikaments nötig machen. Weiter geht es darum, sich in die Situation des Tauchers hinein zu versetzen: was könnte alles geschehen unter diesen gesundheitlichen Umständen? Das gelingt uns Tauchern und Taucherinnen ziemlich gut – sicher besser als den verordnenden, nicht-tauchenden Fachpersonen.