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Enten- & Taucherflöhen

News - Enten- & Taucherflöhen

Flöhe bei Enten und bei Tauchern haben Gemeinsamkeiten: zwar juckt es bei beiden, aber weder bei den Enten noch bei den Tauchern geht es im eigentlichen Sinn um Flöhe. Und was es zudem auch noch mit Schweinen auf sich hat, das erfährt man beim Weiterlesen.

Text: Dr. med. Beat Staub
Facharzt für Allgemeinmedizin FMH, Diving Medicine Physician EDTC

Vor ein oder zwei Jahren war das Thema «Entenflöhe» sehr präsent in der hausärztlichen Praxis. Ich weiss auch nicht, woran es lag, aber es meldeten sich viele Menschen mit Juckreiz nach dem Badeplausch. Teils mit «Püggeln», teils mit Hautrötungen – es juckte. In vielen Medien konnte man von den «Entenflöhen» lesen, die sich an den Ufern von Seen und Weihern nicht auf die Enten, sondern auf die Menschen stürzten und lästige Hautsymptome auslösten. Man mochte gar nicht mehr baden gehen, so sehr waren die Flöhe zumindest in Medien präsent. Die Symptome waren meist relativ einfach zu behandeln und die «Krankheit» selber war nach einigen Tagen überstanden. Die Flöhe, die eigentlich gar keine Flöhe, sondern wurmartige Parasiten sind, sterben in der Haut des Menschen rasch ab. Sie hatten sich nämlich geirrt und den falschen Wirt befallen. Im Gegensatz zur verwandten Bilharziose-Krankheit wurden in der Schweiz keine chronischen Verläufe bekannt.

Bei den Taucherflöhen ist es zwar ähnlich, aber eben auch ganz ander: es juckt aber aus vollständig anderen Gründen.
In den letzten Monaten wurde ich mehrmals von Tauchern angesprochen, die im Anschluss an Tauchgänge teils heftigen Juckreiz oder Hautveränderungen erlebt hatten. Selbstverständlich hatte niemand von ihnen dein Eindruck, Träger von Entenflöhen geworden zu sein. Vor allem in der noch kälteren Umgebung sind wir Taucher ja nicht unbedingt diejenigen, die sich am Ufer räkeln. Nein, nicht Entenflöhe mussten es sein, sondern Taucherflöhe. Und diesmal geht es nicht um irgendwelche krabbelnden Parasiten, sondern um Stickstoff.

Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wann ich den Begriff der Taucherflöhe zum ersten Mal hörte. Wenn ich in meinem Umfeld herum höre, so scheint der Begriff aber den meisten bekannt zu sein. Es steckt kein Juckreiz durch einen nicht ideal belüfteten Trockenanzug (Anzugsqueeze) dahinter. Stickstoffblasen sind es, die sich in der fetthaltigen Unterhautschicht ansammeln und so die Hautnerven reizen oder sogar kleine Blutgefässe verstopfen und so den Juckreiz oder Hautrötungen auslösen. Klingt völlig logisch. Vergeht nach einigen Stunden von selber wieder oder man atmet etwas Sauerstoff. Nicht der Rede wert, gehört schon fast zur Taucherkarriere. Oder etwa nicht?

Natürlich nicht, denn sonst wäre der SUHMS-Beitrag für den Nereus ja hier ganz banal schon zu Ende.
In den vergangenen Monaten wurde ich in der tauchmedizinischen Sprechstunde nicht nur wegen Taucherflöhen, sondern auch wegen begleitenden Hautveränderungen angesprochen. Dabei kam mir der Umstand zugute, dass im Zeitalter der Handy-Kameras diese Hautveränderungen fotografiert wurden. Dabei waren rötlich-blaue Flecken und Muster sichtbar, die im weitesten Sinn an die Muster von Marmorplatten erinnern. Zum Glück wurden diese Muster, die in der Fachsprache Cutis marmorata (marmorierte Haut) heissen fotografiert, denn nach einigen Stunden sind sie wieder verschwunden.

Bis vor kurzer Zeit war man in der tauchmedizinischen Fachwelt der Ansicht, dass es sich dabei um eine sogenannte «Haut-Dekokrankheit» handelt. In der technischen Ausdrucksweise eine DCS Typ I, Hautbefall. Das bedeutet, dass es nach einem Tauchgang zu einer Stickstoffbelastung kam, die sich mit Hautsymptomen äusserte.

Bei den einen Tauchern, mit denen ich Kontakt hatte führten verschiedene Umstände tatsächlich zu einer vermehrten bzw. übermässigen Stickstoffbelastung. Und dann kommt’s halt irgendwo zu Bläschen. Aber bei den anderen, die eigentlich alles richtig machten? Bei ihnen musste man einen Übertritt der Stickstoffblasen in den arteriellen Teil des Gefässystems annehmen.

In den letzten Jahren wurde die Idee Hautbläschen kritisch hinterfragt. Grundsätzlich fragten sich Tauchmediziner, weshalb Stickstoffblasen die Venen in der Haut oder im Unterhautgewebe verstopfen sollten. Denn die zum Herzen zurückführenden Venen werden im Kaliber ja immer grösser, so dass die Blasen problemlos weitergeschwemmt werden sollten. Man musste also annehmen, dass die Blasen durch irgendwelche noch unbekannten «Kurzschlüsse» vom venösen Kreislaufteil in den arteriellen Teil übertreten können. Zudem fiel auf, dass in Fallberichten von arteriellen Gasembolien ebenfalls das Phänomen der Cutis marmorata beschrieben wurde.

Und hier kommen nun die Schweine ins Spiel. Eine Forschergruppe in den Niederlanden führte Experimente zum Thema «Gasembolie im Gehirn» durch. Dabei wurde den narkotisierten Schweinen eine definierte Menge an Luft in die Hirnarterien eingespritzt, um ihren Hirnstoffwechsel untersuchen zu können. Dabei fiel den Forschern auf, dass innerhalb von Minuten nach dem Einspritzen an der Haut die typischen grossflächigen Veränderungen der Cutis marmorata auftraten.
Nun hätten die Forscher das ganz einfach erklären können: Gas in den Hirnarterien wird irgendwie in die Venen weitergeschwemmt, kommt dann irgendwie zuerst in den rechten Teil des Herzens und dann in die Lungen und wird dort irgendwie nicht in den Lungenbläschen ausgetauscht, sondern gerät irgendwie in die Arterien und wird dann in die Haut weitertransportiert, wo es irgendwie dann die Gefässe verstopft. Für einen Forscher sind das zuviele «irgendwie».
 
Komplett gegen einen solchen Vorgang spricht nämlich der Umstand, dass die unter dem Mikroskop untersuchten Proben der betroffenen Hautareale nicht die erwarteten Bläschen oder deren Spuren zeigten. Stattdessen fand man deutliche Zeichen von aktiven Entzündungsvorgängen. Man vermutet deshalb, dass diese Entzündungen durch Prozesse am Hirn verursacht und gesteuert sind. Dort wurde ja auch der ursprüngliche Schaden durch die Luftinjektionen gesetzt.
Zudem spricht der zeitliche Ablauf ebenfalls für Entzündungen, die durchs Hirn vermittelt werden. Denn das Auftreten der Cutis marmorata innerhalb von Minuten nach den Injektionen spricht gegen die Kreislauf-Idee – so schnell sind die Bläschen nicht vor Ort.

In der Publikation über diese Phänomene weisen die Autoren darauf hin, dass die Cutis marmorata ja auch ausserhalb der Tauchwelt eine Bewandtnis hat. Unter den Begriffen «Livedo reticularis» und «Livedo racemosa» werden sehr ähnliche Hautveränderungen beschrieben.

Die Livedo reticularis ist vielleicht einzelnen Kaltwasserschwimmern als violett-bläuliche, netzartige Hautveränderung bekannt, die mit der Temperatur des Wassers zu tun hat.
Die Livedo racemosa wiederum sieht etwas anders aus und tritt interessanterweise häufig im Vorfeld von Hirnschlägen auf. Sowohl bei der Kaltwasserexposition wie auch beim Hirnschlag sind die Mechanismen noch nicht völlig geklärt. Jedenfalls könnte das Gehirn in beiden Situationen durchaus eine entscheidende, signalvermittelnde Rolle spielen.Die Akten über die Taucherflöhe und die Cutis marmorata sind noch nicht geschlossen und man darf auf die weiteren Erkenntnisse gespannt sein.

Was sind denn nun die Konsequenzen für uns Taucher?
Wir müssen möglicherweise vom Gedanken der harmlosen Haut-Dekokrankheit Abstand nehmen und uns damit auseinandersetzen, dass es sich um eine Bläschenkrankheit des Hirns handeln könnte.
Daraus lässt sich ableiten, dass das Abwarten kein ideales Vorgehen ist. Besser wäre die normobare Sauerstoffatmung, wenn nötig auf einer Notfallstation im Spital. Zudem wäre es sinnvoll die tauchmedizinische Hotline zu bemühen. Denn in der Regel ist man in den Notfallstationen «sparsam» mit dem Sauerstoff. Ideal sind 15 Liter/Minute, was nach Anweisung durch die Hotline meist dann auch funktioniert.

Da es sich um eine Hirnerkrankung handelt ist nach Verschwinden der Symptome nicht einfach alles erledigt. Nicht nur die Haut muss ok sein, sondern auch das Gehirn!
Und wenn wir tatsächlich von einer Hirn-DCS ausgehen, so müsste ein zeitweises Tauchverbot ausgesprochen werden.

Während dieser Zeit muss die Frage geklärt sein, ob die Stickstoffbläschen im Hirn entstanden oder durch einen Gefässkurzschluss  ins Hirn geschwemmt wurden.
Eine Dekokrankheit zu erleiden bedeutet immer, unabhängig von der speziellen medizinischen Situation, dass sich zu viel Stickstoff im Körper befunden hat, der nicht zeit- und ­tiefengerecht abgeamtet wurde.
Auf der Website der SUHMS gibt es frei downloadbare Hinweise zum sogenannten low- bubble-diving. Dadurch kann  die Stickstofflast reduzieren werden.
Wahrscheinlich am wichtigsten ist es, sich die notwendigen Kenntnisse in Kursen anzueignen und regelmässig an den taucherischen Fähigkeiten zu arbeiten.

Übrigens: am Zürichsee gibt es einen Tauchplatz, der aus guten Gründen im Sommer nicht so häufig betaucht wird. Denn dort kommt es vor, dass es schon während des Tauchens (vor allem mit Trockenanzug) juckt, ohne dass man gleich an Enten- oder Taucherflöhe denken müsste.
Warum? Es gibt sehr viele Ameisen dort – beim Umziehen verirren sich manchmal einzelne in den Anzug hinein und tauchen mit.


PS: Eure Geschichten über Taucherflöhe und Cutis marmorata interessieren mich – schickt mir bitte ein Mail und beschreibt Eure Erlebnisse – staub@praxis-staub.ch


Text: Dr. med. Beat Staub – Facharzt
für Allgemeinmedizin FMH,
Diving Medicine Physician EDTC

Literaturangaben beim Verfasser, Bild. zvg