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Eine sinnvolle Sicherheitsmassnahme

News - Eine sinnvolle Sicherheitsmassnahme

Die Szene wiederholt sich immer wieder: kurz vor der Abreise in die Tauchferien wird man aus der Vorfreude herausgerissen, weil man ein «gültiges Tauchtauglichkeitsattest» mitnehmen soll. Denn nach kurzen Suche und Durchblättern des Logbuches kommt der Schreck: das vorhandene Papier ist uralt, ein Doktor-Termin muss also her.

Text: Dr. med. Beat Staub
Facharzt für Allgemeinmedizin FMH, Diving Medicine Physician EDTC

 

Tatsächlich ist es häufig, dass sich die Taucher für eine Beurteilung der Tauchtauglichkeit recht kurzfristig melden. Meist findet sich schon irgendwie ein Terminfenster. Selbstverständlich will man ja niemandem deswegen den ersehnten und zweifellos verdienten Tauchurlaub vermiesen. Die stirnrunzelnde und zähneknirschende Praxisassistentin des Arztes (sie muss dafür einen der raren, für Notfälle reservierten Lücken in der Agenda hergeben) weiss es mittlerweile: Taucher sind eben so . . .

Für viele Taucher ist der Arzttermin zur Beurteilung der Tauchtauglichkeit ein Muss, eine lästige Auflage. Schliesslich bin ich ja fit, oder? Und ich war ja grad erst letzte Woche noch im Wasser und hatte keine ­Probleme! Also, was soll das?! 
Manchmal werde ich von Tauchern aufgefordert, doch einfach meinen Stempel und meine Unterschrift aufs Formular zu setzen. Schliesslich sei ja alles in Ordnung, da müsse man ja keine grosse Sache draus machen. Und überhaupt: wenn es «Probleme» gebe, so bekomme man das Attest ja auch am Ferienort im Hinterzimmer für wenig Geld ganz einfach und unbürokratisch.

Eine überflüssige und nutzlose Sache also? Eine Plage für die Taucher? Geldmacherei vielleicht sogar? Ein Abschieben von Verantwortung – wo doch jede und jeder selber für den eigenen Körper und die Gesundheit verantwortlich ist?
Von Seiten der Ausbildungsorganisationen, der Tauchbasen und Reiseorganisationen geht es selbstverständlich auch um Haftungsfragen. Aber auch um den Schutz von anderen Tauchern. Logischerweise möchte niemand einem Taucher zumuten– egal wie erfahren er ist – dass er oder sie mit einem Buddy unterwegs ist, der ein gesundheitliches Risiko mit sich bringt. So würde niemand mit einem Buddy ins Wasser steigen, dessen Ausrüstung in üblem Zustand ist. Ein Tauchzwischenfall ist auch für den Buddy immer ein Zwischenfall mit Gefahren!
Selbst wenn diese verflixte Verpflichtung zum Tauchtauglichkeitsattest nicht wäre, so könnte ich mich als Tauchmediziner trotzdem nicht zurücklehnen. 
Seit der Publikation der Daten des Stickybeak-Projekts in den Neunzigerjahren kann man es einfach nicht mehr verdrängen, dass die medizinische Tauchtauglichkeit ein Thema sein muss.
Möglicherweise kennen nur wenige den Namen dieses Projekts, obschon einige der Erkenntnisse aus dieser Publikation aber den meisten Tauchern bekannt sein dürften.
Worum ging es bei Stickybeak?
Bei dieser Datensammlung aus Australien und Neuseeland wurden die Umstände von 100 tödlichen Tauchunfällen erfasst, untersucht und analysiert. Autoren der Studie und Untersucher dieser Unfälle waren zwei ausserordentlich erfahrene Tauchmediziner.
Obschon die Untersuchung und die Publikation nun schon einige Jahre zurückliegen, sind deren Ergebnisse und Schlussfolgerungen wohl immer noch als gültig zu betrachten. Vergleichbare Zahlen aus neuerer Zeit werden kaum folgen, denn die Anforderungen an den Datenschutz sind deutlich gestiegen, was den Austausch von Informationen zwischen Rettungsdiensten, Polizei und Medizinern erheblich erschwert. Und man muss noch erwähnen: damals wurde die medizinische Be­urteilung der Tauchtauglichkeit noch viel seltener durchgeführt als heute. Die Anforderungen waren noch nicht so hoch, man wusste es noch nicht besser.
Die Unfälle wurden grundsätzlich nach der Ursache beziehungsweise dem Auslöser in vier Gruppen aufgeteilt: medizinische Gründe, Verhalten, Ausrüstung und Umgebungseinflüsse. Selbstverständlich war es für die Autoren nicht immer einfach und eindeutig, die Unfälle exakt zuzuordnen. So führte schlussendlich fast immer ein Ertrinken zum Tod, aber zuvor in der Ereigniskette gab es andere auslösende Faktoren. 
Eine der allgemein bekannten Erkenntnisse aus der Untersuchung war übrigens, dass die meisten der verunglückten Taucher ihr Gewichts­system an der Oberfläche noch bei sich trugen und dass die Jackets sehr häufig nicht luftgefüllt waren. 
Aber zurück zu den medizinischen Aspekten: Die beiden erfahrenen Tauchmediziner geben an, dass von der gesamten Gruppe mindestens 43% der Todesfälle auf ein medizinisches Problem zurück zu führen war. Das kann man nun einfach so zur Kenntnis nehmen und  sagen «Pech gehabt».

Aber bei mindestens einem Viertel von diesen 43% der Verstorbenen hätte man aufgrund eines seriösen ärztlichen Untersuchs wissen können, dass sie gar nicht erst tauchtauglich gewesen waren! Diese Todesfälle wären vermeidbar gewesen. Bei der Hälfte dieser Verunglückten war übrigens keine Untersuchung durchgeführt worden, bei der anderen Hälfte darf deren Seriosität bezweifelt werden.
Bei den Verunglückten wurden am häufigsten Herz- oder Lungenprobleme festgestellt. Ich nehme an, dass jeder der verstorbenen Taucher sich selber vor dem Tauchgang als fit und tauchtauglich eingeschätzt hatte.

Stickybeak lehrt uns also, dass die ärztliche Tauchuntersuchung einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, Tauchunfälle und Todesfälle zu vermeiden. Zudem müssen wir wohl eingestehen, dass sich die persönliche Einschätzung nicht zwingend mit derjenigen des Taucharztes deckt.
Nun kann man ganz spitzfindig einwenden, dass auch die beste ärztliche Untersuchung keine Garantie geben könne, dass bei einem Tauchgang keine medizinische Probleme auftreten, die zu einem fatalen Ausgang führen.

Dieser Einwand ist korrekt. Als Arzt ganz allgemein und selbst als tauchmedizinisch versierter Arzt bin ich immer nur Arzt und nicht ­Hellseher. 

Auf dem SUHMS-Zeugnisformular, das die meisten von uns kennen, steht ein Satz, den viele Taucher wohl überlesen: «Aufgrund der Untersuchung liegen keine Hinweise für Leiden vor, die eine absolute Kontraindikation darstellen». Das bedeutet, dass es die Aufgabe des Arztes ist, Umstände und Leiden heraus zu filtern, die mit dem Tauchen auf gar keinen Fall vereinbar wären, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer gesundheitlichen Gefährdung führen würden. 
Hier mag man erneut einwenden, dass jemand als tauchtauglich erklärt wurde, aber bei einem Pfnüsel Probleme mit dem Druckausgleich hat und somit nicht «tauchtauglich» sei.
Persönlich unterscheide ich hier den Begriff der «Tauchtauglichkeit»von demjenigen der «Tauchfähigkeit». Beim ersten Ausdruck geht es um die grundsätzliche Tauglichkeit (die durch den Arzt zu beurteilen ist), beim zweiten um die momentane Fähigkeit, die 
Tagesform. Hier kommt die Verantwortung des Tauchers selber zum Tragen.

Ist nun also die ärztliche Untersuchung ein sinnloses Muss, ausgedacht zur Plage der Taucher? Gewiss nicht. Sie soll die Taucher und ihre Buddies schützen.
Tauchen sei Fun, sei easy – das erfahren wir überall. Aber es sind gewisse Risiken damit verbunden. Der Herausgeber des medizinischen Fachblattes, in dem die Stickybeak-Daten damals publiziert wurden, erklärte sehr treffend, dass Tauchen immer wieder mit anderen Outdoor-Freizeitaktivitäten verglichen werde. Aber im Unterschied zu diesen bewege man sich als Taucher in einer dichten, nicht atembaren Umgebung, wo es Gezeiten, Strömungen und Wellen gebe und wo bereits geringe Tiefenveränderungen zu erheblichen Druckveränderungen mit den entsprechenden Folgen für das Volumen und die Dichte von Gasen führen. Oder anders gesagt: wir Menschen sind keine Wasserlebewesen und sind damit eigentlich grundsätzlich nicht fit fürs Tauchen. Deshalb müssen wir ja die natürlichen Gegebenheiten mit raffinierter Technik überlisten.

Es lohnt sich also, dass ein erfahrener Mediziner hinschaut und die ­Beurteilung durchführt. Herz-, Kreislauf- und Lungenkrankheiten sind nicht nur in der allgemeinen Bevölkerung häufig. Es gibt sie dementsprechend auch bei den Tauchern. Und nicht zu vergessen: auch wir Taucher werden älter und unsere Körper verändern sich! Wir bleiben nur in unserer Phantasie ein Leben lang jung, gesund und leistungs­fähig.

Im Vergleich zu den finanziellen Aufwendungen, die wir fürs Tauchen haben und zum Geld, das uns beispielsweise die Revisionen unserer Tauchgeräte wert ist, fällt die ärztliche Untersuchung finanziell ja gar nicht sehr ins Gewicht.

Meist führen gesundheitliche Probleme übrigens nicht zu einer grundsätzlichen Tauchuntauglichkeit. Häufig geht es um relative Kontraindikationen. Ein erfahrener Tauchmediziner kann beraten und Empfehlungen machen, um die Taucherei trotz allfälliger gesundheitlicher Einschränkungen sicher und mit Freude weiterhin auszuüben.
Vielleicht integrieren wir also die ärztliche Untersuchung in unser ­Taucherleben wie die Revision unserer Geräte – und vielleicht denken wir nächstes Mal sogar rechtzeitig daran, einen Termin dafür zu organisieren.